WOMEN WHO DAERE #13 | ÜBER DAS LEBEN MIT TRISOMIE 21 MIT THEKLA WILKENING
ÜBER DAS LEBEN MIT TRISOMIE 21, LUNCH CLUB EDITION 3 UND ITALIEN.
Als ich klein war verbrachte ich viel Zeit in dem Heim für Kinder mit Behinderungen, in dem meine Mutter damals arbeitete. Ich spielte im Bällebecken, dem großen Garten, den wir selbst nicht hatten und lag entspannt in der Hängematte zwischen den Bäumen. Ich mochte diesen Ort. Ein Mädchen hatte es mir besonders angetan, sie war entzückend. Sie war blind und am liebsten mochte sie Musik und spielte Keyboard. Kennengelernt habe ich sie dort als Baby.
Rückblickend würde ich nicht sagen, dass der Umgang mit den Kindern für mich immer leicht war. Ich war klein und verstand vieles nicht. Definitiv aber war die Hemmschwelle durch den regelmäßigen Kontakt geringer. Ich würde behaupten, die positiven Erinnerungen prägen mich bis heute.
Und dennoch, die Nachricht zu erhalten, das eigene Kind könnte nicht vollkommen gesund zur Welt kommen, machte mir so große Angst, dass ich mich am liebsten komplett vor diesem Thema gedrückt hätte. Und während ich mich mit Freund:innen über alle möglichen Dinge rund um Schwangerschaft ausgetauscht habe, blieb Behinderung immer ein Tabuthema. Umso mehr hat mich der Mut und die Geschichte von Thekla und ihrer Tochter Toni bewegt.
war mir bis dato bekannt als Gründerin der Kleiderei, einem nachhaltigen Modeunternehmen. Heute schreibt sie Texte, ist politische Kommunikatorin und Nachhaltigkeitsberaterin. Seit kurzem lebt Thekla gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern auf der Insel Hiddensee.In ihrem Newsletter
schreibt sie über Mode, Politik und Muttersein. Das besondere: Theklas Tochter Toni ist mit dem Downsyndrom zur Welt gekommen. Ich durfte mit Thekla darüber sprechen, welche Ängste sie vor der Geburt ihrer Tochter Toni hatte, wie sie ihren Blick auf das Leben verändert hat, welche Vorurteile ihr tagtäglich begegnen. Und sie teilt Tipps und No Gos im Umgang mit Trisomie 21.Wie geht es euch mit dem Thema? Habt ihr im Alltag Kontakt zu Menschen mit Behinderung? Wir freuen uns auf eure Gedanken in den Kommentaren dieser Edition.
Mit viel Liebe! —Kinga
DAERE: WIE WAR DER MOMENT, ALS DU DAVON ERFAHREN HAST, DASS TONI MIT DEM DOWN-SYNDROM ZUR WELT KOMMT?
TW: Toni ist unser erstes gemeinsames Kind und wir freuten uns sehr auf sie. Bei einer einfachen Routineuntersuchung in der 18. SSW war meinem Frauenarzt die erhöhte Fruchtwassermenge aufgefallen, bei einer anschließenden Kontrolle kam dann die Gewissheit: Hier ist etwas anders. Ich lag noch am selben Tag beim Feindiagnostiker auf der Liege, der dann Fruchtwasser entnahm, eine schmerzhafte und emotionale Prozedur: Es wird mit einer riesigen Nadel durch die Bauchdecke in die Fruchtblase gestochen - eine Schwester kontrolliert via Ultraschall, dass das Baby nicht getroffen wird. Ein paar Tage danach rief er mit der Diagnose an: Down-Syndrom. Verrückterweise war das am 21. März, dem Welt-Down-Syndrom-Tag.
DAERE: WIE WAR DIE VERBLEIBENDE SCHWANGERSCHAFT FÜR DICH? WELCHE GEFÜHLE HABEN DU UND DEIN PARTNER DURCHLEBT?
TW: Uns war schnell klar, dass wir Toni behalten würden. Was unklar war, war, wie es ihr geht. Es gab noch Begleiterscheinungen wie zu viel Flüssigkeit im Köpfchen und Kalk am Herzen. Und so waren die Wochen von Untersuchungen geprägt, verbunden mit einem Wechsel aus Bangen und Hoffnung. Kurz vor der Geburt war dann klar: Die Flüssigkeitsmenge hatte sich normalisiert, der Kalk am Herzen war unproblematisch, Toni wird ohne organische Vorbelastung zur Welt kommen.
DAERE: DU HAST DICH FÜR DAS LEBEN MIT TONI ENTSCHIEDEN. WAS HAT DIR DAS VERTRAUEN GEGEBEN? WART IHR EUCH ALS PAAR DIREKT EINIG IN DER ENTSCHEIDUNG? HATTET IHR IN DER 18. SSW NOCH EINE “WAHL”?
TW: Ja - bei der Diagnose Down-Syndrom darf, zum Schutze der Psyche der Eltern, auch weit nach der 12. Woche die Schwangerschaft beendet werden. Das ist auf der einen Seite gut, weil den werdenden Eltern kein Druck gemacht wird, eine Entscheidung zu treffen. Auf der anderen Seite ist es dramatisch, weil es zeigt, dass das Leben eines Menschen mit Down-Syndrom ethisch anders bewertet wird.
DAERE: WIE HAT DEIN UMFELD DAMALS REAGIERT? WEM HAST DU DAVON ERZÄHLT? WEM HAST DU ES BEWUSST VERSCHWIEGEN UND WARUM?
TW: Es gab ein paar Gedanken, die mich umtrieben, darüber, wie ihr Leben sein würde. Selbstständigkeit, Job, Familie? Bis ich für mich feststelle, dass es übergriffig ist, darüber zu urteilen, was sie in ihrem Leben brauchen könnte. Und eh suchen ja alle Menschen auch ohne Down-Syndrom ein ganzes Leben lang nach dem Sinn – warum sollte ich es ihr also absprechen? Ich beschloss, ins Vertrauen zu gehen und mir zu sagen: Sie wird ihren Platz finden. Dementsprechend erzählte ich es aber nur wenigen Menschen, ich hatte Angst, dass mir viele erklären, wie schwer werden würde.
DAERE: WELCHEN RAT WÜRDEST DU HEUTE EINER GUTEN FREUNDIN GEBEN? GIBT ES ETWAS, WAS JEMAND ZU DIR GESAGT HAT, WAS DIR BIS HEUTE IN ERINNERUNG GEBLIEBEN IST?
TW: Mein Herz möchte hier direkt schreien: TU ES! Jede:r sollte eine Toni in seinem Leben habe! So einfach ist es natürlich nicht, denn unser gesellschaftliches System ist auf Leistung ausgelegt, und das ist zutiefst ableistisch. Es kommen Herausforderungen auf uns zu, von denen ich nicht sagen kann, welche Kraft wir als Eltern dafür aufbringen müssen. Aber ich denke, dass wir alle da hineinwachsen können, wenn wir es uns zutrauen und mutig sind.
DAERE: WAS MIR FRÜHER NIE BEWUSST WAR, FREMDE MENSCHEN SCHAUEN EINFACH IN KINDERWAGEN HINEIN. WIE REAGIEREN MENSCHEN WENN SIE TONI DAS ERSTE MAL SEHEN? WAS MACHT DAS MIT DIR? WELCHE REAKTION WÜRDEST DU DIR WÜNSCHEN?
TW: Bisher sind die Reaktionen durchweg zugewandt, Tonis positive Energie lässt eigentlich niemanden kalt. Meine Nachbarin sagte gestern: "Toni hat so einen Blick, dem kann man nicht widerstehen.” Bisher wurden wir nicht direkt gefragt, ob sie das Down-Syndrom hat, meist fragen die Menschen andere Menschen, die uns kennen und finden es so heraus, glaube ich. Ich finde das okay.
DAERE: WIE UNTERSCHEIDET SICH DEIN ALLTAG MIT TONI VON DEM MIT DEINEN ANDEREN KINDERN?
TW: Sie ist jetzt zwei Jahre alt, fängt gerade an zu laufen und sie spricht noch nicht. Wir leben mit ihr in einem Flow, der durch einen bestimmten Rhythmus ihre Bedürfnisse erfüllt: Es gibt regelmäßige Mahlzeiten, Schlafenszeiten, Spielen. Ein bisschen wie mit einem Neugeborenen – nur, dass sie natürlich schon ganz schön viel Quatsch machen kann.
DAERE: DU TEILST DEINE GESCHICHTE MIT TONI GANZ OFFEN. WELCHE BEWEGGRÜNDE HAST DU DAFÜR? WAS MÖCHTEST DU DAMIT ERREICHEN?
TW: Von Expert:innen haben wir gelernt, dass sich 9 von 10 Elternpaaren anders entscheiden als wir. Ein Großteil davon, ohne lange darüber nachzudenken. Mich hat das sehr traurig gemacht, weil es meiner Meinung nach keinen Grund dafür gibt, diesen Unterschied zu machen. Tonis Leben ist für mich ebenso wertvoll wie das ihrer Geschwister. Ich hoffe, dass ich mit Tonis Geschichte und meinen Texten dazu mehr werdende Eltern dazu ermutigen kann, ihr Baby mit Down-Syndrom zu bekommen.
DAERE: DU HAST DICH BEWUSST FÜR EIN 3. KIND ENTSCHIEDEN. HATTEST DU ANGST DAVOR, DAS AUCH ER NICHT 100% GESUND SEIN KÖNNTE? HAST DU DIESES MAL ENTSPRECHENDE UNTERSUCHUNGEN MACHEN LASSEN?
TW: Ja, dieses Mal haben wir den NIP-Test gemacht, einfach weil ich bei Toni gemerkt habe, dass es für mich gut war, es vor der Geburt zu wissen. Das Ergebnis war mir egal. Ich denke, wenn man erstmal Abweichungen in sein Leben gelassen hat, dann entsteht automatisch eine große Öffnung. Leonard Cohen singt: There is a crack, a crack in everything. That's how the light gets in.
DAERE: WELCHE ART VON SUPPORT FEHLT DIR? WAS WÜNSCHST DU DIR VON DER GESELLSCHAFT?
TW: Ich würde mir wünschen, dass Untersuchungen wie der NIP-Test nicht in Frauenarzt-Praxen sondern in eigens dafür eingerichteten Institutionen durchgeführt würden. Dann gäbe es da auch empathische Expert:innen, die werdende Eltern mit einem positiven Ergebnis begleiten können. So wie es jetzt ist, tun das die Ärzt:innen und das ist nicht ihre Aufgabe, sie können das nicht leisten.
DAERE: WELCHE VORURTEILE BEGEGNEN DIR REGELMÄSSIG?
TW: Es ist eher so, dass die Menschen jetzt sagen: “Oh, aber ich habe von einem Mann mit Down-Syndrom gelesen, der Marathon läuft, oder einer Frau, die jetzt studiert.” Das ganze Prinzip “Leistung” unserer neoliberalen Gesellschaft wird auch auf Toni angewandt. Das finde ich nachvollziehbar, aber schade: Sie soll ja, wie alle Menschen, um ihrer selbst willen geliebt werden, nicht weil sie (trotz Down-Syndrom) etwas Herausragendes leistet.
DAERE: KANNST DU TIPPS UND NO GOS TEILEN?
TW: Im Hier und Jetzt sein! Eh mit allen Kindern. Nicht darüber nachdenken, was sie schaffen, wann sie etwas können, sondern das zu nehmen, was gerade ist. Kinder sind einfach bezaubernd und wir sollten sie genießen, statt große Pläne mit ihnen zu schmieden. Egal ob mit Down-Syndrom oder nicht.
DAERE: MUTTERSCHAFT VERÄNDERT FRAUEN. WÜRDEST DU SAGEN, TONI HAT DICH - ANDERS ALS DEINE ANDEREN KINDER - GEPRÄGT? DICH ALS MENSCH? DEINEN BLICK AUF’S LEBEN?
TW: Ja, es klingt so kitschig, aber sie hat uns dankbarer gemacht und achtsamer.
DAERE: IHR SEID VOR KURZEM ANS MEER GEZOGEN. WAS HAT EUCH DAZU BEWEGT?
TW: Das Häuschen, in das wir gezogen sind, ist seit Generationen unser Familien-Sommerhaus. Mittlerweile waren wir die einzigen, die es noch als dieses genutzt haben und so entstand die Idee, nach diesem Sommer einfach zu bleiben. Mit Toni und Leander, und dieser Sehnsucht nach Entschleunigung, die durch ihre Geburten in uns aufkam, haben wir es jetzt einfach gemacht! Wir sind jetzt schon so froh darüber, sie werden mit Wiesen, Wind und Wasser groß - was kann es Schöneres geben?
DAERE: WIE STELLST DU DIR EURE ZUKUNFT ALS FAMILIE VOR? WAS WÜRDEST DU DIR FÜR DIE ZUKUNFT WÜNSCHEN?
TW: Ich habe in letzter Zeit viele Menschen, die älter sind als ich, gefragt, was die glücklichste Zeit in ihrem Leben war. Die meisten antworten darauf etwas erfolgs-/berufsbezogenes. Ich wünsche mir, dass wir später sagen: Die Jahre mit den Kindern, das waren die schönsten.
NACHTRAG DAERE: EINE LESERIN HAT UNS DARAUF AUFMERKSAM GEMACHT, DASS WIR IM INTERVIEW VON BEHINDERUNG ALS KRANKHEIT SPRECHEN, WAS NATÜRLICH NICHT KORREKT IST. DAS GEGENTEIL VON BEHINDERT IST NICHT GESUND, SONDERN NICHT-BEHINDERT. WIR GLAUBEN, DASS SENSIBILITÄT FÜR KORREKTE SPRACHE SEHR WICHTIG IST, HABEN DEN ARTIKEL DAHER BEWUSST NICHT ANGEPASST, SONDERN MIT DIESEM HINWEIS VERSEHEN. DEN KOMMENTAR DER LESERIN KÖNNT IHR HIER NACHLESEN. WIR BEDANKEN UNS AN DIESER STELLE NOCHMAL FÜR DEN WICHTIGEN HINWEIS!
DAERE LUNCH CLUB EDIT 3 – ART & DESIGN
Am 14. September findet die nächste Edition unseres DAERE LUNCH CLUB statt - zu Art und Design. Euch erwartet ein Samstag in herrlichem Ambiente im Boutique Hotel Château Royal Berlin.
Freut euch auf eine intime Runde mit interessanten Frauen, inspirierende Gespräche, ein köstliches, exklusiv für DAERE kreiertes 3-Gänge-Lunch und eine kleine Überraschung.
Kunst und Design ist ein Thema, das dich privat oder beruflich interessiert? Wenn du dabei sein möchtest, like diesen Artikel via Substack und schreibe uns eine Email mit dem Betreff “DAERE LUNCH CLUB” an hi@daere.de.
SALT & STONE Sheer Daily Sunscreen | DAGMAR WIDE OVAL SUNGLASSES | MASSIMO DUTTI LEATHER JACKET | AEYDE BALLET FLAT | ARKET KNIT | ARKET CAPRI PANTS | TOTEME MONOGRAM SILK SCARF | LIE STUDIO EARRINGS | DIPTYQUE TAM DAO FRAGRANCE
DOLCE VITA MIT JANINA
Ich bin ja gar kein Fan von Vorsätzen, aber ich habe mir vorgenommen (zumindest zu versuchen), meine Zeit in Italien nun Jahr für Jahr etwas zu erhöhen. Nach einem Italien-Urlaub geht’s mir einfach immer gut, körperlich und mental. Und ja, ich habe auch schon in anderen Regionen der Welt Urlaub gemacht aber den Erholungsfaktor hat bisher noch keine andere Destination getoppt. Besonders verliebt habe ich mich in den letzten Jahren in Ligurien, die Region ist so vielseitig und das Essen simpel, aber unglaublich gut.
ABBAZIA SAN FRUTTUOSO
Wer an der ligurischen Küste rund um Camogli oder Santa Margherita urlaubt, muss einen Abstecher an einen der schönsten Ort der Welt machen – das alte Kloster San Fruttuoso. Ja, es ist unfassbar überlaufen, aber eben auch unfassbar schön. Ich empfehle, mit der ersten Fähre anzukommen (die Fähren fahren ganz regelmäßig, auch in der Nebensaison). Wir nehmen immer reichlich Focaccia mit (hier gibt’s das Allerbeste), frisches Obst und Wasser für den ganzen Tag.
Die Mittagspause kann man wunderbar in der direkt angrenzenden Bucht verbringen. Im La Cantina muss man unbedingt vorab reservieren, um die beste Pasta mit frischem Fisch und Seafood zu ergattern. Spaghetti Pescatore und dazu Vino Bianco Frizzante bestellen, thank me later.
Man kann entweder einen kleinen steilen Weg rüberlaufen (10 Minuten) oder einen Geldschein in den Bikini stecken und einfach rüberschwimmen.
DOLCE LIGURIA
Dieses Rezept habe ich in Vorbereitung zwei Mal machen müssen – es schmeckt so gut, dass ich beim ersten Mal nicht geschafft habe es zu fotografieren. Das Rezept hat keinen Namen, es ist inspiriert von einem Buch, dass ich im Urlaub durchgeblättert habe:
Drei Esslöffel Ricotta in ein Dessertschälchen geben, drei Esslöffel feine italienische Orangenmarmelade darübergeben und einen guten Schuss naturtrübes Olivenöl.
Das einfachste Rezept der Welt, schmeckt aber trotzdem sehr besonders und speziell.
Super schöne und persönliche Ausgabe! Danke an euch und an Thekla❤️
❤️